Wenn ich zurück denke, war mein Methodendurst vor 10 Jahren, als ich beruflich in die Körperarbeit einstieg, riesig. Ich hatte als Klientin selbst tiefgreifende Erfahrungen gemacht, und diese wollte ich auch anderen ermöglichen. Natürlich wollte ich auch einen guten Job machen, und ich wollte wissen, was ich tue!
Als Therapeutin war und bin ich darauf bedacht, meine eigene Entwicklung und Bewusstwerdung voranzutreiben. Ich besuche Fortbildungen und andere Veranstaltungen, um mein Selbstverständnis zu vertiefen und meinen Klienten Erfahrungsreferenzen bieten zu können.
Als Perfektionistin hatte ich hohe Ansprüche an mich – und da ich manche meiner Erfahrungen als Maßstab nahm – oft auch ein ziemlich genaues Bild davon, was meine Klienten brauchen, wollen oder gar wollen sollten. Es gibt unbestritten Erfahrungen, die wir sehr ähnlich machen und daher mitfühlen, nachvollziehen können. Ich erlebte in mir die Tendenz, voreilig zu antizipieren, was der nächste Schritt für den Klienten sei. Ich wollte dann etwas abgleichen und verwechselte seinen Weg mit meinem eigenen.
Tatsächlich sehe ich rückblickend, dass ich viel mit Vorstellungen beschäftigt war, anstatt mich wirklich auf mein Gegenüber einzulassen. Das hätte nämlich bedeutet, mich immer wieder auf einen Raum des Nichtwissens einzulassen. Auf den Raum, in dem mein Klient im Grunde mehr über sich weiß als ich – auch wenn er vorgibt, das nicht zu tun. In diesem Raum hätte ich meine Rolle aufgeben müssen, die aber gab mir doch Sicherheit, und ich versuchte, sie gut auszufüllen!
Ich liebe Paradoxa und werde in meinem Leben immer wieder auf sie zurückgeworfen, so auch hier: Natürlich profitiert mein Klient von meinem Wissen und meinen Erfahrungen, auch dem, was ich methodisch nutzen kann. Denn wenn ich als Therapeutin unsicher und ratlos wirke, weil ich meine, etwas wissen zu müssen, wird mein Klient sich nicht sicher fühlen. Doch ich bin letztlich nur die, die auf etwas zeigen und hinweisen kann. Ich unterstütze die Selbstwahrnehmung meiner Klienten und führe sie nicht in Abhängigkeit von mir, der Wissenden. Ich betrete Erfahrungsräume mit ihnen gemeinsam oder bin bereit dazu.
Entspanntes Nichtwissen setzt Vertrauen voraus – Vertrauen in den Prozess, Vertrauen ins Leben und letztlich in die Weisheit meines Gegenübers. Vertrauen war eine der Schlüsselqualitäten, die mein Lehrer Bernd Scharwies für mich vermittelte – und mitunter greife ich auf gewohnte Muster des Verstehenwollens, Kontrollierens zurück, immer spürbarer. Es fällt mir inzwischen leichter, nicht auf den Zug aufzuspringen, dass jetzt hier ein Problem durch mich gelöst werden müsse.
Annahme ist immer der erste Schritt zur Veränderung, und Vertrauen und Entspannung können anstecken.
Wenn ich in der Arbeit ein Ziel vor Augen habe, erzeugt das aber Spannung, einen bestimmten Fokus, eine Ausrichtung. Diese kann Führung geben und unterstützen, Kräfte und Konzentration bündeln. Sie kann genauso auch bremsen, verhindern und irre-führen, wenn mein Klient ganz woanders hin will oder einen anderen Weg oder ein ganz anderes Tempo braucht, als ich mir vor-stelle. Jeder Mensch hat sein individuelles Leben, seine ganz eigene Lebensgeschichte.
Im schlimmsten Fall ziehe ich jemanden in eine Richtung, in die er gar nicht gehen will oder kann. Dann strenge ich mich an, ich will etwas. Und der andere ist zumindest irritiert, fühlt sich nicht wahrgenommen und gesehen, geschweige denn abgeholt oder begleitet. Der Druck, der im Klienten ohnehin vorhanden ist, wird noch verstärkt und erzeugt Widerstand – oder aber der Klient verlässt sich noch mehr selbst, weil er sich auf meine Vorstellung einlässt. Natürlich kann ich als Therapeutin eine Idee verfolgen, aber wenn sie nicht anklingt, und spätestens wenn auch eine zweite Idee nicht funktioniert, sollte ich die Ideenebene verlassen, mich leer machen von „Ich weiß was“, empfänglich und neugierig werden, ja lernwillig!
Eigentlich ist es dann so: mein Klient kann mir etwas zeigen. Er kann mir zeigen, welches sein Weg ist, ich kann diesen unterstützen und bestärken. Und selbst wenn der Klient das nicht bewusst weiß, gibt doch er das Tempo vor. Während ich hier „Tempo“ schreibe, bemerke ich schon Druck, denn es impliziert die Erwartung von Bewegung, Veränderung, Entwicklung – die doch sowieso die ganze Zeit stattfinden. Leben passiert!
Da denke ich gerade an: «Die Kraft des Arztes liegt im Patienten» (Paracelsus 1493–1541). Für mich drückt dieses Zitat aus, dass alles Wissen und alle Entwicklungsmöglichkeiten im Klienten vorhanden sind und sein System ganz genau weiß, was es braucht. Die Unterstützung, die er in Anspruch nimmt, soll hin zur Selbstverantwortung führen, zum Selbstvertrauen. Wenn ich ihm schon nicht vertraue, wie soll es ihm gelingen?
Sicher gibt es wieder Klienten, die an Punkten stehen, die ich in der Vergangenheit auch passiert habe. Schließlich werden sich die angezogen fühlen, die mit mir einen weiteren Schritt gehen können. Aber möglicherweise ist es nur dieser einzige Schritt – und vielleicht sind es mehrere oder viele. Das weiß ich nie, denn jeder hat seinen eigenen Weg zu gehen, und über den weiß ich herzlich wenig, wenn auch ich manchmal ahne.
Natürlich braucht es im therapeutischen Setting ein gewisses Selbstverständnis, einen Rahmen, manchmal ein Konzept. Das alles kann hilfreich sowohl für den Therapeuten als auch für den Klienten sein. Doch braucht es Flexibilität und gerade in der energetischen, psychologisch orientierten Körperarbeit immer wieder die Bereitschaft, den eigenen Glauben über Bord zu werfen, offen zu sein für Wunder (damit meine ich hier überraschende Wendungen ohne bewusstes Zutun).
Wenn Klienten über ihre Körpersignale hinweggehen, ist es mein Job, diesen zuzuhören, den Fokus auf ihnen zu halten. Körperliche Spannungen sind nicht zufällig da, Körperhaltungen sind nicht zufällig. Und Veränderung wird nur entstehen, wenn die Signale gelesen, gehört, vielleicht auch gespürt wurden. Gerade jetzt gibt es nichts zu tun, außer zu atmen und zu spüren. Und zu erkennen, dass immer Fluss da ist, immer Bewegung.
Wenn allzu viel Spannung, Schmerz, Verzweiflung sich breit machen, ist manchmal der einfachste Schlüssel, nicht zu wissen, nicht zu müssen: Hingabe an die Erfahrung in diesem Moment. Wenn ich als Therapeutin an diesen Ort gehen kann, kann der Klient folgen. Mein Sein, nicht mein Tun, sind dann eine Einladung. Ich biete an, ohne zu wollen.
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